Der Industrialisierungsprozess setzte in Deutschland im 19. Jahrhundert ein und lässt sich in drei Phasen aufteilen.
- Die erste Phase ist die Frühindustrialisierung von ungefähr 1815 bis 1840.
- Der richtige Durchbruch trat in der zweiten Phase von ca. 1845/50 bis 1873 ein
- und die letzte Phase der Hochindustrialisierung wird auf 1874 bis zum Ersten Weltkrieg datiert.
In Harburg setzte die Industrialisierung um 1854 ein.
Der Weg Harburgs in die Industrialisierung
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts beruhte die Harburger Wirtschaft im Wesentlichen auf den Speditionshandel, der sich im Warenaustausch zwischen den nord- und südelbischen Gebieten äußerte. Der Eigenhandel erreichte in Harburg noch keinen bedeutenden Umfang. Nach dem Anschluss Harburgs an die Bahnstrecke von Hannover 1847, über Celle nach Harburg, erreichte die Schifffahrt, über die Elbe nach Hamburg, einen großen Aufschwung. Hamburg hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Anschluss an das südelbische Eisenbahnnetz. Auch der Hafen in Harburg erlebte einen großen Aufschwung. Es kam zur Ausdehnung des Dockhafens 1845 bis 1849 und zur Erklärung des Harburger Hafens als Freihafen, im Jahr 1848. Ein weiterer Vorteil von Harburg gegenüber Hamburg, lag in der Befreiung vom Stader Zoll 1850, der bei Brunshausen von allen, die Elbe aufkommenden Seeschiffen, erhoben wurde. Für solche Güter, die von See aus direkt nach Harburg liefen, fiel dieser Zoll weg. In dieser Zeit entwickelte sich Harburg als Seehafen Hannovers.
Die Industrialisierung Harburgs
Der Wendepunkt in der wirtschaftlichen Entwicklung Harburgs trat am 1.1.1854, mit dem Zollanschluss des Königreichs Hannovers an den Deutschen Zollverein, ein. Damit trat Hannover in den wirtschaftlichen Wettbewerb mit anderen Städten des Zollvereins.
Harburg wurde damit ebenfalls an ein weites Absatzgebiet für Waren angeschlossen und lag im Vorteil gegenüber Hamburg, denn die Hansestadt blieb bis zum 15.10.1888 Zollausland. Hamburg lag damit in einer ungünstigen Position zum deutschen Inlandsmarkt. Um diesen Nachteil auszugleichen, errichteten Hamburger Firmen Zweigfirmen in Harburg, zur Deckung des Bedarfs des deutschen Inlandsmarktes. Die Lage Harburgs war für industrielle Unternehmen äußerst günstig. Gelände war billig zu erhalten. In Hamburg dagegen waren Bauplätze knapp und teuer. Von Harburg aus konnten Rohstoffe, über den Seeweg, nach Hamburg transportiert werden. Fertigwaren konnten über den Seeweg, den Flussweg und den Schienenweg, innerhalb des Deutschen Bundes, befördert werden. 1867 legten eine bedeutende Zahl von Hamburgern, Industriebetriebe in Harburg an. ¾ aller industriellen Einrichtungen Harburgs wurden von Hamburgern gegründet. Ein weiterer großer Vorteil Harburgs gegenüber Hamburg, lag in der Kraftstoffversorgung. Harburg befand sich auf der Grenze des englischen und westfälischen Kohlenabsatzgebietes in einer Zone, in der beide Gebiete stark rivalisierten. Damit waren Billigkeit und die Stetigkeit des Kraftstoffs für Harburger Industrien garantiert.
Hauptindustrien in Harburg
Die Ölmühlenindustrie
Die Ölmühlenindustrie hatte einen traditionellen, handwerklichen Ursprung. Die Anfänge des Harburger Ölmüllereigewerbes liegen im 17. Jahrhundert. Die eigentliche Geburtsstunde der Harburger Pflanzenölindustrie liegt, schon vor der eigentlichen Industrialisierung Harburgs, im Jahre 1833. Damals gestaltete der Mühleninspektor Robert Sixtus Heins die Graupenmühle, am Eißendorfer Bach in eine durch Dampfkraft betriebene Ölmühle, um. Er ergänzte drei vorhandene Keilpressen durch eine hydraulische Presse. Die Dampfmaschine hatte 12 PS und war die Erste in Harburg überhaupt. Es wurden jährlich 6000 Zentner Öl damit erzeugt. Die Ölsaat dafür kam aus den benachbarten Marschgebieten.Mit der Industrialisierung und dem steigenden Bedarf an pflanzlichen Ölen zur Seifenherstellung und als Brennöl, kam es zur Umstellung auf Verarbeitung überseeischer Saaten, durch den Hamburger Importeur G.L. Gayser. Er errichtete 1859 eine Palmölfabrik in Harburg. Mit Unterstützung durch hamburgisches Kapital und die hannoverische Bank, wurde auch in der Ölmühle von Robert Sixtus Heins eine Umstellung der Fabrikation vorgenommen. Durch den fehlenden Anschluss der Firma an flussschifftiefes Wasser, errichtete die Firma Gayser 1863 einen zweiten Betrieb, namens „Heins und Asbeck“, am Kanal mit Bahnanschluss.
Die Hydrocarbürfabrik und Gasanstalt Noblee´ und Co.Gegründet wurde die Firma „Noblee´ und Co.“ von dem, aus Hamburg kommenden, Franzosen Henri Louis Josephe Noblee´, im Jahre 1855. Das hergestellte Hydrocarbür, ein aus der Kohle-Destillation gewonnenes Leuchtöl, wurde zuerst für Harburgs Straßenlaternen eingesetzt. Später wurden die Straßenlaternen mit Noblee´s Gas betrieben. 1865 wurde neben den bestehenden Anlagen, eine Palmkernölfabrik von Noblee´ gebaut. Als Teilhaber trat 1876 Max Thörl, Sohn des Harburger Senators Fritz Thörl, mit in das zu „Noblee´ und Thörl“ umbenannte Unternehmen, ein.
Kautschuk- und Kunststoffindustrie
Die Kautschukindustrie zählt zur ältesten Industrie in Harburg. Sie hat keine handwerklichen Vorgänger. Durch die Erfindung des Vulkanisierungsprozesses, welcher die Voraussetzung für eine breite industrielle Verarbeitung von Kautschuk ist, beginnt die Geschichte
Harburgs als Kautschukplatz. Es gibt zwei wichtige Kautschukfabriken in Harburg.
Die Gummi-Kamm-Companie
Die 1818 von H.C. Meyer gegründete Fabrik „Stock Meyer“ in Hamburg, verlegte 1854 einen Teil ihrer Produktion, wegen der günstigen Zollverhältnisse, nach Harburg. Die Söhne von H.C. Meyer, Adolf Meyer und H.C. Meyer junior, sowie der Schwiegersohn C.J.F. Traun, gründeten aus der Fabrik in Harburg 1856 die Harburger „Gummi-Kamm-Companie“, als erste deutsche Hartkautschukfabrik überhaupt. Im Jahre 1878 kam es zur Trennung der Firmen H. C. Meyer und der Harburger Gummi-Kamm-Companie. Daraufhin verlegte die Fabrik „Stock-Meyer“ ihren gesamten Betrieb nach Harburg, während Heinrich Traun, der nach 1883 Alleininhaber war, die gesamte Kautschukfabrikation in Hamburg – Veddel einrichtete. Später wurde der Name der „Gummi-Kamm-Companie“ in die „New-York-Hamburger Gummi-Waren-Companie“ umgeändert.
Phoenix
Ebenfalls 1856, gründeten die Pariser Brüder Albert und Louis Cohen aus Hamburg, eine Gummischuhfabrik. Die Firma begann mit einer Belegschaft von 260 Mitarbeitern die Produktion aufzunehmen. Nach den Gummischuhen folgten technische Gummiprodukte und die Fertigung von Fahrrad- und Autoreifen. Aus der kleinen Firma, wurde die Harburger Gummiwarenfabrik „Phoenix“ mit Weltruf und der bekannten Autoreifenmarke „Firestone- Phoenix“.